Der Weg nach Neukölln war ein Höllenmarsch. Die Straßen waren aufgerissen wie offene Wunden, die Häuser starrten mit leeren Fensteraugen in den grauen Himmel. Kein Leben, kein Tod – nur das dumpfe Gefühl, beobachtet zu werden.
Mara, Anna und Falk bewegten sich durch Seitenstraßen, durch Keller, über umgestürzte Brücken aus Beton und Blech. In Annas Händen vibrierte das Funkgerät schwach, aber regelmäßig – ein leiser Pulsschlag aus Hoffnung:
„Konvoi an alle: Wir ziehen weiter südlich. GPS-Koordinaten 52.472, 13.436. Wiederhole: Bewegung Richtung Treptower Park. Viele Tote. Keine Zeit.“
„Wir sind nah“, sagte Mara. Ihre Stimme war heiser, von Staub und Schlaflosigkeit. „Noch ein paar Kilometer.“
Falk blieb plötzlich stehen.
Er bellte einmal, dann rannte er los.
„Falk!“
Anna sprintete hinterher, Mara fluchte – doch dann hörten sie es: Kinderlachen. Echte Stimmen. Motorengeräusche. Leben.

Zwischen umgestürzten Bäumen, alten LKWs und verbrannten Wohnmobilen hatten sich etwa ein Dutzend Menschen verschanzt. Männer, Frauen, zwei Kinder – einer davon kaum älter als fünf. In der Mitte stand ein umgebauter Bus mit Stahlplatten an den Fenstern und einem aufgemalten roten Kreuz auf dem Dach.

Ein bärtiger Mann in zerschlissener Sanitäterjacke trat vor, als Mara und Anna aus dem Gebüsch kamen.
„Freunde?“, fragte er, eine Hand an der Waffe, die andere am Funkgerät.
„Überlebende“, keuchte Mara. „Projekt SEELE ist aktiv. Es hat Lichtenberg überlebt. Der Außenposten ist gefallen.“

Die Gruppe erstarrte. Eine Frau mit zerzausten Haaren trat vor, ihr Baby fest an sich gedrückt. „Dann… ist es wahr? Es kann durch Tote sehen?“
Anna nickte. „Aber es kann mehr. Es denkt. Es plant.“
Ein paar aus der Gruppe begannen zu weinen. Doch der Sanitäter blieb ruhig.
„Ich bin Levin“, sagte er. „Wir haben etwas. Nicht viel. Aber genug, um zu kämpfen. Und wir wissen, wo das Zentrum seiner Ausbreitung liegt.“
„Wo?“, fragte Mara sofort.
Levin sah sie an. „Nicht Berlin. Darunter. Die alten Stasi-Komplexe. Tiefbunker. Unter dem Flughafen Schönefeld. Da hat SEELE seine Wurzeln geschlagen.“
Mara sog die Luft ein.
„Also fängt es da an. Und da endet es.“
Anna trat neben sie. Ihre Stimme war ruhig.
„Dann bringen wir den Krieg zu ihm.“

Falk bellte. Der Himmel über Treptow öffnete sich für einen kurzen Moment – ein Lichtstrahl brach durch die Asche. Ein Zeichen? Oder nur eine letzte Ruhe vor dem Sturm?
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