Linda landete hart. Keine sanfte Zwischenwelt. Kein Traumzustand. Sie schlug auf etwas Kaltem auf – Stein? Glas? Es war nicht klar. Die Luft war dünn, fast metallisch. Als sie sich aufrichtete, wusste sie sofort: Sie war im Innersten des Spiels angekommen.
Die Halle war gewaltig. Keine Wände, kein klarer Boden – nur endlose Dunkelheit, durchzogen von leuchtenden Linien wie in einem neuronalen Netzwerk. In der Ferne flackerten Käfige aus Licht, jede Konstruktion pulsierte im Takt eines fremden Rhythmus.
In einem davon stand Lily.
Linda rannte.
Die Linien unter ihren Füßen leiteten sie – als spürte das System ihre Absicht. Je näher sie kam, desto stiller wurde es. Die Stimmen verstummten. Das Flüstern wich einem tiefen Summen – wie der Atem eines schlafenden Wesens.
Sie blieb stehen. Direkt vor dem Käfig.
Lily saß darin, den Rücken zu ihr gewandt. Weißes Kleid. Haare lang und ungewaschen. Ihre Hände hielten einen Würfel, der größer war als alle zuvor – fast so groß wie sie selbst.
„Lily“, flüsterte Linda.
Das Mädchen drehte sich langsam um. Und ihr Blick traf Linda wie ein Schlag.
Es war Lily. Und es war sie nicht.
Ihre Augen waren schwarz, nicht durch Finsternis – sondern durch Tiefe. Wie Tore zu etwas viel Älterem. Ihr Gesicht zuckte für einen Moment, als müsste es sich erinnern, wie man Gefühle zeigt.
Dann lächelte sie.
„Du bist gekommen“, sagte sie. Die Stimme war ein Echo, als spräche mehr als eine Person.
„Ich habe dich gesucht“, flüsterte Linda. „Ich bring dich heim.“
„Ich bin daheim“, erwiderte Lily sanft. „Ich sehe jetzt, was ihr nicht sehen könnt. Ich bin… ausgewählt worden. Ich bin die Brücke.“

Linda schüttelte den Kopf, Tränen in den Augen. „Du bist ein Kind. Kein Werkzeug.“
Lily legte den Würfel zur Seite. Trat an die Grenze des Käfigs. Und flüsterte: „Es ist kein Käfig, Linda. Es ist ein Kokon.“
Und in diesem Moment bebte die Welt. Die Linien begannen zu flackern. Überall brachen Strukturen zusammen. Schreie. Stimmen. Etwas erwachte.
Lily streckte die Hand durch die Lichtwand – unmöglich. Und doch geschah es. Linda griff zu.
„Wenn du mich holst“, sagte Lily leise, „wirst du sie mitbringen.“
„Wen?“
Lily neigte den Kopf.
„Die, die schläft. Die, die träumt. Die, die entscheidet.“
Dann brach der Käfig auseinander – und der Würfel in Lindas Tasche zersprang in Licht.
Alles wurde weiß.
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