Kapitel 1
Der Nebel kam früh in diesem Jahr. Schon Ende August lag er wie ein zäher Schleier über Willow Creek, dieser kleinen Stadt irgendwo in Maine, wo die Leute die gleichen Gesichter seit Jahrzehnten kannten und jedes Auto, das nicht auf der Main Street wohnte, neugierige Blicke auf sich zog.
Anfangs dachten alle, es sei nur das Wetter. Der Nebel stieg nachts vom Fluss auf, zog zwischen den alten Holzhäusern hindurch und löste sich meist im Laufe des Morgens wieder auf. Doch diesmal blieb er. Tag für Tag. Und mit ihm kamen die Geräusche.
Ein tiefes, vibrierendes Brummen, das aus dem Nebel selbst zu kommen schien. Manchmal glaubte man, Stimmen darin zu hören — flüsternde, entfernte Rufe, die einen Namen formten, aber zu leise waren, um ihn wirklich zu verstehen.
Sheriff Alan Pierce, 52, war der Erste, der bemerkte, dass nicht nur die Tiere verschwanden. Zuerst der Hund von Mrs. Lowell. Dann zwei Katzen. Eine Woche später meldete der Supermarktbesitzer seinen Neffen als vermisst — der Junge war auf dem Weg zur Nachtschicht und kam nie an. Sein Wagen wurde am Waldrand gefunden, Fahrertür offen, Scheinwerfer an, Radio rauschte.
An jenem Abend stand Alan auf der Veranda seines Hauses, sah in den Nebel hinaus, der sich über die Straße wälzte, und schwor, dass er für einen Moment eine Gestalt darin sah. Hoch, langgliedrig, mit etwas, das wie Finger aussah — viel zu viele Finger.
Und als der Wind drehte, hörte er es wieder.
Das Brummen.
Und seinen Namen.
Kapitel 2 – Das Geräusch unter der Erde
Am nächsten Morgen war Willow Creek stiller als sonst.
Selbst die Möwen, die vom Fluss heraufkamen, schienen den Nebel zu meiden, der noch immer wie eine bleierne Masse zwischen den Häusern hing. Das Licht war milchig und schwer.
Sheriff Alan Pierce saß in seinem Wagen vor dem Diner. Drinnen klirrten Besteck und Porzellan, das übliche Morgengebrabbel – aber auch das war heute gedämpft.
Als er die Fahrertür öffnete, schlug ihm der Geruch entgegen: feucht, modrig, metallisch.
Drinnen hinter dem Tresen stand Mabel, wie immer mit hochgestecktem Haar und einer Schürze, die aussah, als hätte sie seit Reagan kein Update bekommen.
„Morgen, Alan“, sagte sie und zwang ein Lächeln. „Hast du’s gehört?“
Er hob den Blick. „Was gehört?“
„Dieses Brummen. Letzte Nacht gegen drei. Ich dachte erst, es wär der Generator, aber dann …“ Sie machte eine Geste, die irgendwo zwischen Schulterzucken und Kreuzzeichen lag. „Dann hat die Erde gewackelt.“
Alan nickte langsam.
„Mrs. Lowell sagt, ihr Hund hätte gebellt wie verrückt. Und bei den McCarthers sind alle Sicherungen rausgeflogen.“
Er nahm einen Schluck Kaffee, zu heiß, zu bitter. „Ich fahr nachher rüber zum alten Steinbruch. Vielleicht gibt’s da was zu sehen.“
Mabel beugte sich über den Tresen. Ihre Stimme wurde leise:
„Du solltest das lassen, Alan. Ich hab letzte Nacht gesehen, wie etwas da unten im Nebel war. Es hat …“ – sie suchte nach Worten – „… es hat geatmet.“
Alan wollte etwas sagen, aber dann bebte wieder der Boden. Ganz leicht.
Die Tassen auf dem Regal klirrten. Irgendwo draußen jaulte eine Sirene auf, dumpf, fern.
Und dann hörte er es selbst – ein tiefes, vibrierendes Brummen, das aus der Erde zu kommen schien, wie das Grollen eines gewaltigen Tiers im Schlaf.
Alan sah Mabel an.
Sie starrte zur Tür.
Und draußen im Nebel bewegte sich etwas.
Kapitel 3 – Der Steinbruch
Die Straße zum alten Steinbruch war kaum mehr als ein gewundener Pfad aus rissigem Asphalt, halb zugewachsen, die Ränder voller Farn und Dornenbüsche. Alan fuhr langsam, die Scheinwerfer schnitten träge durch den Nebel, der sich wie zäher Rauch bewegte.
Er kannte diesen Weg seit seiner Jugend. Hier hatten sie früher Bier getrunken, Musik gehört, sich Mut angetrunken, um nachts in das kalte, dunkle Wasser zu springen. Der Steinbruch war seit Jahren stillgelegt, ein Relikt aus besseren Zeiten. Doch jetzt sah er anders aus – leerer, fremder, als hätte ihn etwas verschluckt.
Je näher Alan kam, desto stärker vibrierte das Brummen. Es war kein Geräusch, das man wirklich hörte – man spürte es im Brustkorb, in den Knochen, als würde die Luft selbst mitschwingen.
Er stellte den Wagen ab, stieg aus.
Der Nebel verschluckte sofort den Sound der zuschlagenden Tür.
„Hallo?“ rief er. Seine Stimme hallte dumpf zwischen den Felsen wider. Keine Antwort. Nur das Brummen.
Er nahm seine Taschenlampe aus dem Gürtel. Der Lichtstrahl schnitt durch die Nebelschleier und fiel auf den Boden – der war aufgewühlt. Tiefe Furchen im Sand, als hätte sich etwas Schweres hindurchgeschoben. Keine Reifenspuren, keine Schuhabdrücke. Nur diese Schleifspuren, fast wie Spuren einer gigantischen Schlange.
Alan folgte ihnen ein paar Meter, dann blieb er stehen.
Da war ein Geruch.
Nicht Erde. Nicht Öl. Etwas anderes. Etwas wie verbranntes Fleisch und kalter Rost.
Er hob den Kopf – und sah, dass der Nebel sich vor ihm teilte, als würde etwas Unsichtbares darin atmen. Eine Bewegung. Ein Schatten. Dann ein leises Knacken, als ob jemand über trockene Zweige lief.
„Wer ist da?“
Keine Antwort. Nur ein tiefes, kehliges Grollen, so fern und doch so nah, dass ihm der Schweiß in den Nacken schoss.
Plötzlich flackerte das Licht seiner Taschenlampe.
Er klopfte dagegen – ein Fehler. Denn genau in diesem Moment, als der Lichtkegel wieder aufflammte, sah er Augen.
Zwei gelbliche, schmale Augen, kaum zwei Meter vor ihm. Nicht menschlich. Zu tief, zu ruhig.
Alan wich zurück, stolperte, fiel auf den Rücken.
Ein Schatten beugte sich über ihn, riesig, formlos, als hätte der Nebel selbst einen Körper angenommen. Und dann – ein Geräusch, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ:
Ein Flüstern.
Leise, direkt neben seinem Ohr.
„Alan…“
Dann war alles schwarz.
Kapitel 4 – Der Morgen danach
Es war kurz nach sieben, als Deputy Carla Hensley den Wagen des Sheriffs fand.
Er stand verlassen am Rand der Zufahrtsstraße zum alten Steinbruch, die Fahrertür halb offen, die Scheinwerfer noch an. Der Motor war kalt.
Carla rief leise seinen Namen, erst einmal, dann noch einmal lauter. Nur der Nebel antwortete, zäh und schwer, wie Watte, die jedes Geräusch verschluckte.
Sie beugte sich ins Wageninnere.
Auf dem Fahrersitz lag Alans Hut, daneben seine Thermoskanne, umgekippt, der Rest des Kaffees in einer braunen Pfütze auf der Fußmatte. Auf dem Armaturenbrett klebte eine Schicht aus feinem, grauem Staub – als hätte sich etwas in den Wagen geschlichen und wieder hinausgeweht.
Carla griff zum Funkgerät.
„Zentrale, hier Hensley. Ich habe den Wagen von Sheriff Pierce gefunden. Keine Spur von ihm. Ich wiederhole – keine Spur.“
Das Rauschen im Funk klang ungewöhnlich stark, als würde etwas die Frequenz stören.
„Hensley, verstanden“, kam schließlich die Stimme von Dispatcher Roy. „Bleib da, wir schicken Verstärkung.“
Doch als Carla aufblickte, sah sie, dass etwas im Nebel schwebte.
Ein Licht, schwach bläulich, vibrierend.
Sie trat vorsichtig vor, Hand an der Waffe, Herz im Hals.
Das Licht verschwand. Nur noch das Brummen. Dieses tiefe, körperliche Grollen, das man mehr fühlte als hörte.
Dann Stille.
Eine Stunde später standen drei Streifenwagen am Rand des Steinbruchs.
Die Spurensicherung suchte vergeblich nach Fußabdrücken. Nur die Schleifspuren im Sand – und an einem der Felsen ein Abdruck, als hätte jemand eine Hand hineingepresst. Fünf Finger. Lang, dünn, zu lang. Der Abdruck war in den Stein geschmolzen, als hätte ihn etwas mit Hitze hineingebrannt.
Carla stand daneben, den Blick auf den Abdruck gerichtet.
„Was zur Hölle ist das?“ murmelte einer der Techniker.
Sie antwortete nicht.
In ihrem Kopf hallte nur ein Gedanke nach:
Alan hatte einmal gesagt, der Nebel von Willow Creek rieche nach altem Metall, wenn Regen im Anzug sei.
Heute roch er anders.
Nach Erde. Nach Asche.
Und ein bisschen – nach Angst.
Möchtest du, dass ich mit Kapitel 5 fortfahre?
Dort könnten wir den Fokus wechseln – etwa zu einer anderen Figur (z. B. einem Jungen, der etwas im Nebel sieht) oder zu Carla, die tiefer in den Steinbruch vordringt.
Welche Variante soll es sein?
Ähnliche Artikel
Dunkle Gänge von Berlin – Teil 10: Nach dem Sturm (Finale)
Tage vergingen. Vielleicht Wochen. Zeit hatte ihren Sinn verloren in…
Der Aufzug ohne Ziel – Teil 3
Der EntschlussMarkus lebt seit seiner Rückkehr in einem Zustand zwischen…
Schatten im All – Teil 2: Die Helios-Inzidenz
Kapitel 1: Die AnkunftDie Schleuse der Helios schob sich zischend…
