Der Winter im hohen Norden war gnadenlos. Erik, ein Mann mittleren Alters mit wettergezeichnetem Gesicht, stapfte durch den tiefen Schnee. Sein Hütehund Ragnar lief dicht an seiner Seite, die Ohren gespitzt, die Nase ständig im Wind. Sie suchten nach verirrten Tieren, doch je tiefer sie in den Wald gingen, desto mehr verwandelte sich die vertraute Umgebung in ein beklemmendes Labyrinth aus Bäumen und Nebel.
Der Wald war unnatürlich still. Kein Knacken von Ästen, kein Ruf von Vögeln, nicht einmal das Heulen eines Wolfes. Nur das leise Knurren Ragnars verriet, dass etwas in der Nähe war. Erik spürte es ebenfalls – dieses Kribbeln im Nacken, als würden unsichtbare Augen jede seiner Bewegungen beobachten.
Dann hörte er es: ein schweres, schleifendes Atmen, tief und kehlig, das den Nebel erzittern ließ.
Zwischen den Bäumen trat eine Gestalt hervor. Riesig. Das Fell war zerzaust, grau und verschmutzt, die langen Arme endeten in klauenähnlichen Händen. Die Augen leuchteten nicht friedlich, sondern glühten in einem kranken Gelb. Ragnar bellte wie rasend, doch das Wesen reagierte nicht – es starrte Erik direkt an, als hätte es schon lange auf ihn gewartet.
Mit einem dumpfen Laut, halb Knurren, halb Schrei, setzte der Yeti einen Schritt nach vorne. Der Schnee unter seinen Füßen knirschte so schwer, dass Erik unwillkürlich zurückwich.

Plötzlich brach Ragnar nach vorne, knurrend und bellend, doch der Yeti fegte ihn mit einem Schlag seiner Pranke zur Seite. Der Hund jaulte, rappelte sich auf, taumelte zurück zu Erik – lebendig, aber verletzt.
Erik spürte, wie ihm der Atem wegblieb. Er drehte sich um, rannte tiefer in den Wald, während Ragnar hinkend neben ihm herlief. Hinter ihnen krachten Bäume, Äste brachen, der Boden bebte unter den Schritten des Wesens. Es folgte ihnen, unaufhaltsam.
Der Nebel wurde dichter, Erik verlor die Orientierung. Sein Herz raste, während er sich zwischen den Stämmen hindurchdrängte. Dann ein Moment der Stille. Kein Krachen mehr. Nur sein Atem, Ragnars keuchendes Hecheln – und dann, direkt hinter ihm, ein Laut, so nah, dass Erik das Eis im Atem des Wesens spürte.
Langsam drehte er sich um. Der Yeti stand nur wenige Schritte entfernt, größer, näher, monströser als zuvor. Schneekristalle klebten in seinem blutverkrusteten Fell. Ragnar knurrte schwach, stellte sich trotz Schmerzen schützend vor Erik.
Die Augen des Wesens funkelten. Es hob den Arm, als wollte es zuschlagen – und dann erlosch die Welt im weißen Schneetreiben.
Der Schlag kam mit einer Wucht, die Erik zu Boden riss. Der Schnee färbte sich rot, als er das Gleichgewicht verlor und in die Kälte fiel. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen rauschte durch seine Ohren, als hätte der Wald selbst aufgehört zu atmen.
Ragnar warf sich mit letzter Kraft gegen das Bein der Kreatur, biss ins Fell, riss und knurrte. Der Yeti stieß ein wütendes, markerschütterndes Brüllen aus. Mit einer schnellen Bewegung packte er den Hund, hob ihn in die Luft. Ragnar jaulte, strampelte – und wurde mit brutaler Gewalt in den Schnee geschleudert. Stille.
Ein Kloß schnürte Erik die Kehle zu. Er versuchte, sich aufzurichten, doch seine Beine gehorchten kaum noch. Die Kälte biss, aber stärker war die lähmende Angst.
Das Wesen trat näher. Die gelben Augen fixierten ihn, brannten sich in sein Innerstes. Erik fühlte, wie ein Schwindel ihn ergriff – als würde die Kreatur nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist berühren. Bilder schossen durch seinen Kopf: Knochen im Schnee, alte Feuerstellen, Jäger, die nie zurückkehrten. Der Yeti war kein Tier. Er war etwas Altes. Etwas, das hier schon war, bevor Menschen die Wälder betraten.
Mit einer verzweifelten Bewegung griff Erik nach dem Jagdmesser an seinem Gürtel. Seine Finger zitterten, aber er schaffte es, die Klinge zu ziehen. Als die Kreatur sich über ihn beugte, stieß er zu, traf tief ins Fell. Ein Brüllen erschütterte den Wald, Schnee rutschte von den Ästen der Bäume.
Doch anstatt zurückzuweichen, drückte der Yeti seine Klaue auf Eriks Brust. Das Gewicht war erdrückend. Erik keuchte, spürte, wie die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde.
Die Kälte kroch in ihn hinein, tiefer, als es die nordische Nacht je vermocht hatte. Die Augen des Yetis funkelten wie zwei Fackeln im Nebel. Dann wurde es schwarz.
Als am nächsten Morgen Jäger den Wald durchstreiften, fanden sie Spuren: tiefe, riesige Fußabdrücke, die sich im Schnee verloren. Blut, das bald von neuem Schneefall bedeckt war. Von Erik und Ragnar keine Spur.
Und doch – so erzählte man sich später im Dorf – konnte man in besonders stillen Winternächten ein Knurren im Wald hören. Und ein schweres Atmen, das durch den Nebel zog.
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