Zurück im Präsidium durchsuchten Reinhardt und Seidel jede Akte, jede Liste von Verdächtigen, die in Claras Recherchen auftauchten.
„Es muss jemand sein, der Geld, Einfluss und Schutz hat“, sagte Seidel. „Jemand, der Mertens befehligt hat – nicht umgekehrt.“
Dann fiel Reinhardts Blick auf einen Namen, der wie ein Brandzeichen wirkte: Henning Voss.
Offiziell: Bauunternehmer, Investor, Mäzen für mehrere Berliner Kulturprojekte. Inoffiziell: Verbindungen in Politik, Polizei und Unterwelt.
„Wenn das stimmt, ist er die Spinne im Netz“, murmelte Reinhardt.
Zwei Tage später erfuhr Seidel, dass Voss eine große Benefizveranstaltung im Berliner Dom besuchen würde – über 500 Gäste, Sicherheitsstufe hoch. Perfekt, um unerkannt näherzukommen.
In Abendgarderobe mischten sich Reinhardt und Seidel unter die Gäste. Zwischen Blitzlichtgewitter und Sektgläsern entdeckte Reinhardt ihn: groß, silbernes Haar, selbstsicheres Lächeln.
Gerade als er sich näherte, hörte er eine Stimme direkt hinter sich.
„Ihr seid zu spät.“
Er drehte sich um – und sah den Killer aus Neukölln.
Diesmal hielt er keine Pistole, sondern ein Weinglas in der Hand.
„In fünf Minuten wird hier ein Schuss fallen. Und alle werden denken, ihr wart’s.“

Reinhardt spürte, wie ihm Sekunden wie Blei im Nacken saßen. Er und Seidel mussten den Killer und Voss gleichzeitig ausschalten – und dabei lebend aus der Sache rauskommen.
Als die Eröffnungsrede begann, schlich Reinhardt seitlich an die Bühne. Seidel positionierte sich am hinteren Ausgang, um Fluchtwege zu blockieren.
Dann sah er Clara – mitten in der Menge, in einem schlichten schwarzen Kleid. Sie hatte den Killer im Blick, nicht Voss.
In dem Moment, als der Killer die Waffe hob, stürzte Clara nach vorne, riss seinen Arm zur Seite. Der Schuss krachte, verfehlte Voss knapp und zerschlug ein Fenster des Doms.
Panik brach aus. Reinhardt packte Voss, drückte ihn gegen die Wand. „Spiel vorbei.“
Voss lächelte nur. „Das Spiel endet nie, Kommissar.“
Voss wurde in Handschellen abgeführt, die Menge im Dom noch in Aufruhr. Clara, Reinhardt und Seidel standen schweigend beisammen, während draußen Polizeisirenen die Nacht erfüllten.
„Das war’s, oder?“, fragte Seidel.
Reinhardt wollte nicken – doch tief in ihm wusste er, dass es nicht so einfach sein würde.
Drei Tage später klingelte Seidels Handy.
„Du sitzt?“, fragte eine ernste Stimme aus der Staatsanwaltschaft.
„Sag schon.“
„Voss ist frei. Kaution. Internationale Kontakte haben eine Einmischung verhindert.“
Reinhardt knallte die Faust auf den Schreibtisch. „Das war alles umsonst?“
In diesem Moment vibrierte sein eigenes Telefon. Eine unbekannte Nummer. Er hob ab – und hörte nur ein leises, vertrautes Lachen.
„Kommissar, wir sehen uns bald. Aber nächstes Mal… spielen wir ohne Zuschauer.“ Klick.
Spät am Abend ging Reinhardt durch den leeren Flur des Präsidiums. Vor seiner Bürotür lag ein Umschlag – ohne Absender. Darin ein einziges Foto: er, Seidel und Clara, aufgenommen aus der Ferne.
Auf der Rückseite stand nur ein Datum.
14. Dezember.
Er wusste nicht, ob es ein Versprechen oder eine Drohung war. Aber er wusste, dass der Kampf gerade erst begonnen hatte.
14. Dezember. Der Tag war gekommen.
Berlin lag unter einer dichten Schneedecke, als Reinhardt ins Präsidium kam. Seidel saß bereits an seinem Schreibtisch, bleich und mit gerunzelter Stirn.
„Heute ist nicht nur irgendein Datum, Lukas. Es ist Claras Geburtstag.“
Bevor Reinhardt antworten konnte, klingelte das Festnetztelefon. Eine verzerrte Stimme meldete sich:
„Heute Abend, 20 Uhr. Oberbaumbrücke. Allein. Oder der Geburtstag wird ihr letzter.“ Klick.
Um Punkt 20 Uhr stand Reinhardt vor der verschneiten Oberbaumbrücke. Schneeflocken tanzten im Wind, der Fluss war schwarz wie Öl.
Aus dem Schatten trat Voss – im langen Mantel, die Hände in den Taschen.
„Sie hätten weggehen können, Kommissar. Aber Sie mussten ja den Helden spielen.“
Hinter Voss tauchten zwei Gestalten auf: der Killer aus Neukölln und… Clara. Ihre Hände gefesselt, ein Tuch über dem Mund.
„Lassen Sie sie frei!“, rief Reinhardt.
Voss lächelte kalt. „Oh, ich lasse sie frei. Aber nicht lebend, wenn Sie jetzt nicht genau das tun, was ich sage.“

Seidel, der heimlich in der Nähe gewartet hatte, trat plötzlich aus einer Seitengasse und feuerte einen Warnschuss. In der Panik riss Clara sich los, stürzte zu Reinhardt.
Der Killer hob die Waffe – und in diesem Moment traf ihn Seidels Schuss. Er fiel rückwärts in den Schnee, reglos.
Voss versuchte zu fliehen, doch Reinhardt packte ihn. Beide kämpften am Rand der Brücke, bis Voss das Gleichgewicht verlor und in die eiskalte Spree stürzte.
Sie sahen noch, wie er kurz an der Oberfläche auftauchte – dann verschwand er in der Strömung.
Wochen später: keine Spur von Voss. Offiziell galt er als tot, doch Reinhardt wusste, dass Männer wie er selten so enden.
Clara bekam eine neue Identität, Seidel und Reinhardt wurden aus der Task Force abgezogen – offiziell „zum Schutz“.
Sie wussten, dass der Fall in den Akten als abgeschlossen galt.
Aber in einer stillen Wohnung in einem Altbau im Norden Berlins klingelte eines Nachts ein Telefon.
Eine Stimme, kaum mehr als ein Flüstern, sagte:
„Wir sind noch nicht fertig.“
Reinhardt legte auf, sah aus dem Fenster in die dunkle Stadt – und wusste, dass der Krieg im Schatten zwar für ihn vorbei war, aber irgendwo anders gerade erst begann.

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